Mein Herz ist rein.
Sachtexte themengerecht und verständlich für erwachsene Zielgruppen schreiben
Noch nie wurde so viel geschrieben wie heute, noch nie so viel veröffentlicht. Es wird gebloggt und getwittert, was das Zeug hält. Neben vielen privaten Bloggern und Influencern pflegen zahlreiche Organisationen, Vereine und Stiftungen ihr Außenbild im Netz und den sogenannten sozialen Netzwerken. Und auch die Zahl der pro Jahr veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsätze und Studien steigt kontinuierlich – und damit die Notwendigkeit, darüber zu informieren.
Oft besteht der Wunsch, diesen Bereich selbst oder wenigstens im eigenen Hause abzudecken. Wohl weil man die Dinge unter Kontrolle und die Kosten im Rahmen halten möchte. Wenig verwunderlich also, dass die Nachfrage nach Beratungs- und Schulungsmaßnahmen steigt, in denen man als Autor geschult wird, um verständlicher schreiben zu können. Wie qualifiziert ist das Angebot?
Die meisten Berater und Coaches stammen aus den Bereichen Journalismus, PR und Werbung. Viele arbeiten selbst als Journalisten oder Texter. Die Workshops und Seminare sind in der Regel kompakt und nicht ganz billig. Die Lerninhalte sind dementsprechend überschaubar und lauten ungefähr so:
Bilden Sie möglichst kurze Sätze. Beschränken Sie sich möglichst auf Hauptsätze. Vermeiden Sie Passiv-Konstruktionen. Benutzen Sie keine Fremdwörter und möglichst keine Abstrakta bzw. keine Nominalisierungen. Vermeiden Sie lange Wörter. Manchmal wird sogar konkret angegeben, wie viele Wörter ein Satz und wie viele Silben ein Wort höchstens haben dürfen.
Ein Sachtext ist kein Kinderbuch
Etwas sarkastisch ausgedrückt zielen die Ratschläge darauf ab, dass die so geschulten Seminarteilnehmer ihre Ausdrucksweise beim Schreiben in etwa auf den sprachlichen Entwicklungsstand eines Sechsjährigen senken mögen. Was ist davon zu halten?
Die Empfehlungen sind nicht aus dem Nichts entstanden. Mit ihnen reagieren Berater und Sprachpfleger auf schlechte und unverständliche Texte. Auf Texte mit Schachtelsätzen im Nominalstil. Texte in denen kein einziger Satz aktiv formuliert ist, obwohl die Handelnden bekannt sind und als Satzsubjekt zur Verfügung stünden.
Sachgemäß und trotzdem verständlich
Daran etwas ändern zu wollen, ist sinnvoll und notwendig. Trotzdem sind die Ratschläge aus den Seminaren falsch. Man merkt das unter anderem daran, dass die Texte der Seminarbesucher nach den Coachings nur selten besser werden. Im Gegenteil. Weshalb funktionieren die einfachen Ratschläge trotzdem nicht, wenn man gute Texte, insbesondere gute Fachtexte für Laien schreiben will?
- Erwachsene sind in der Regel nicht begeistert, wenn man sie wie Sechsjährige behandelt.
- Das Augenmerk liegt allein auf der Wort- und Satzebene. Wichtig ist aber, ob ein Text als Ganzes funktoniert. Ein guter Text verträgt Nebensätze genauso wie abstrakte Begriffe und ist in der Lage, Neues einzuführen – sogar in Form von Fremdwörtern.
- Zur Schilderung eines komplexen Sachverhalts ist auch ein angemessen komplexer Satzbau erforderlich.
Stellt man hier unvertextet kurze Hauptsätze nebeneinander, besteht die Gefahr falscher Zuordnungen. Und die fördern nicht das Verständnis, sondern Missverständnisse. Das Problem: der Autor kennt die richtige Deutung und wird den Fehler unter Umständen nicht bemerken. Der Leser hingegen erkennt im besten Fall die Zweideutigkeit, bleibt jedoch ratlos zurück. Im schlimmsten stellt er den falschen Zusammenhang her und kann hinterher – wie bei visuellen Kippfiguren – womöglich nicht mehr zwischen den beiden Möglichkeiten – also zur vom Autor beabsichtigten Deutung – wechseln. (Und einmal falsch etablierte Konzepte sind hartnäckig!)
Soviel zu voreilig zum Dogma erhobenen Ratschlägen.
Der richtige Weg zu besseren Texten
Einer der besten Ratschläge lautet: Durchdringe die Sache und die Worte werden folgen. Eine gute inhaltliche Struktur ist der beste Garant für einen verständlichen Text.
Vorhandene Texte redigieren
Ein weiterer häufiger Fall: Sie haben bereits einen Text, den Sie ganz gut finden. Der Text funktioniert, hat aber ein paar Schwächen, die man überarbeiten sollte:
Wenden Sie ein paar der oben verrissenen Ratschläge an. Gehen Sie mit Bedacht vor und lassen Sie sich von Ihrem Sprachgefühl leiten: Lange Sätze sollten Sie teilen oder kürzen, sofern der Sinn nicht leidet. Schmeißen Sie Fremdwörter raus, wenn sie unnötig sind – aber nur dann. Sind sie nötig, erläutern Sie sie. Gleiches gilt für Passivkonstruktionen: Raus damit, wenn sie unnötig sind – also die aktive Formulierung tatsächlich kürzer und verständlicher ist. Für alle anderen Fälle: Es ist vertane Zeit, sich Gehirn und Text zu verbiegen, um einen irreversiblen Passivsatz umzuformulieren.
Legen Sie den Text dann eine Weile weg und lesen Sie in mit dem gewonnenen Abstand noch einmal: Wenn Ihr überarbeiteter Text Sie jetzt an Ihre Lesefibel in der Grundschule erinnert, sind Sie vermutlich über das Ziel hinausgeschossen.