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Antiqua – Schriftklassen und wie man sie erkennt und unterscheidet
Haben auch Sie sich schon einmal gefragt, wovon Ihr Grafiker eigentlich spricht, wenn er sich mit Fachbegriffen wie „Grotesk“ und „Egyptienne“ als Experte in Typografie ausweist? Und seine Erklärungen waren genauso kryptisch? Für alle die im nächsten Gespräch mit solidem Grundwissen punkten möchten, erläutern wir die wichtigsten Grundzüge und Begriffe.
Antiqua – Woher kommt die Bezeichnung?
Der Begriff dient der Unterscheidung von anderen Schriftarten. Zunächst einmal unterscheidet man Antiqua als gerundete Schriften von den gebrochenen Schriften. Antiqua-Schriften haben also runde Bögen – im Gegensatz zu Fraktur- bzw. gebrochenen Schriften, wie der Schwabacher. Sie bestehen außerdem aus Großbuchstaben und Kleinbuchstaben. Denn ursprünglich waren Großbuchstabenschriften (z. B. Capitalis Quadrata) und Kleinbuchstabenschriften getrennte Schriftarten. Und sie wurden bei unterschiedlichen Gelegenheiten bzw. auf verschiedenen Untergründen verwendet. Mit der Zeit entstand durch Vermischung verschiedener Bestandteile der römischen Capitalis Quadrata und der karolingischen Minuskel bzw. der humanistischen Kursive ein Schrifttyp, der die Anfänge des Buchdrucks aber auch die Entwicklung der Antiqua-Schriften bis heute prägen sollte.
Die ersten Antiqua-Schriften sind in ihrem Erscheinungsbild noch stark von ihren mit der Feder gezeichneten Vorgängern geprägt. Aber der Reihe nach.
Die humanistische Minuskel – Ausgangspunkt
aller Antiqua-Schriften
Venezianische Renaissance-Antiqua
Historisch gesehen sind die venezianischen Renaissance-Antiqua die am frühesten entstandene Klasse der Antiqua-Schriften. Es ist die Frühzeit des Humanismus in Italien – die Renaissance. Man besinnt sich auf die Werte der Antike. Und viele Quellen, die dafür konsultiert werden, stammen aus dem Frühmittelalter und sind als Handschriften in karolingischen Minuskeln abgefasst. Diesen Schrifttyp hält man irrtümlicherweise für antik. Auf dieser Basis entsteht die humanistische Minuskel, bei der erstmals Versalien und Minuskeln zusammmen in Handschriften auftauchen. Doch es verändert sich noch etwas: Der Buchdruck entsteht. Auch in den ersten Satzschriften, den venezianischen Renaissance-Antiqua, gibt es Groß- und Kleinbuchstaben kombiniert in einem Schrifttyp.
Und diesen Schriften sieht man noch deutlich an, dass sie aus der mit der Feder gezeichneten humanistischen Minuskel bzw. der römischen Capitalis Monumentalis entstanden sind: Die Rundungsachsen liegen schräg nach links geneigt (45°). Auch die Ansatzstriche an den senkrechten Strichen sind schräg, genauso wie der Mittelstrich des kleinen e. Der Schriftkontrast ist verhältnismäßig gering. Das heißt, dass die Unterschiede zwischen den Strichstärken der Grund- und Haarstriche nicht ausgeprägt sind. Die Haarstriche sind also, wie auch die Serifen, recht breit. Typisch sind außerdem eine geringe Höhe der kleinen Buchstaben sowie Oberlängen die über die Großbuchstaben hinausragen können.
Merke: Auffällige Merkmale von venezianischen Renaissance-Antiqua sind ein schräger Strich vom kleinen e, schräge Anstriche, um 45° nach links geneigte Rundungsachsen sowie ein geringer Schriftkontrast, wie am Beispiel des im Schrifttyp Centaur gesetzten Beispieltextes zu sehen ist.
Beispiele für verbreitete venezianische Renaissance-Antiqua sind Jenson, Centaur, Menhart-Antiqua oder Schneidler-Mediäval.
Französische Renaissance-Antiqua
Diese Schriftklasse ist der der schon beschriebenen venezianischen Renaissance-Antiqua ähnlich. Die ersten Schriften entstehen etwas später als ihre venezianischen Verwandten. Die Achse der Rundungen nähert sich langsam der Senkrechten. Sie ist also weniger als 45° nach links geneigt. Auch der e-Strich ist jetzt waagerecht. Der Schriftkontrast wird etwas größer. Die Serifen sind deutlich und schließen mit einer Rundung an die Striche an. Diese Schrifttypen sind über Jahrhunderte beliebt und verbreitet geblieben. Ihr Aussehen ist uns sehr vertraut, sie wirken freundlich und das Wichtigste: Sie sind sehr gut lesbar. Aus diesem Grund werden sie auch heute noch oft verwendet und sind Klassiker im besten Sinne.
Merke: Auffällige Merkmale von französischen Renaissance-Antiqua sind ein gerundeter Anschluss der Serifen am Strich, nur noch leicht nach links geneigte Rundungsachsen, schräge Ansatzstriche an den Oberlängen, Höhe der Großbuchstaben kann geringer sein als die der Oberlängen.
Bekannte Vertreter sind: Garamond, Bembo und Palatino (nebenstehendes Beispiel
Barock-Antiqua
Für den in Deutschland (nach DIN) verwendeten Begriff der Schriftklasse der Barock-Antiqua gibt es anderswo bzw. international keine Entsprechung. So sind sie auch streng genommen keine klar umrissende eigene Klasse, sondern bilden eine Übergangsklasse hin zur klassizistischen Antiqua. Teilweise werden sie deshalb auch als transitional Antiqua bezeichnet. Sie sollen hier dennoch kurz als eigenen Klasse beschrieben werden. Bei den Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts im Barock aufkommenden Antiqua-Schriftarten nähern sich die Rundungsachsen fast der Senkrechten und die Ansätze der Kleinbuchstaben werden fast waagerecht. Da inzwischen feinere Striche technisch machbar geworden sind, wird der Unterschied zwischen Grund- und Haarstrichen größer. Der Schriftkontrast nimmt also zu.
Nicht wenige der Barock-Antiqua-Schriften erfreuen sich immer noch großer Beliebtheit.
Auffällige Merkmale von Barock-Antiqua: Flache und fast ungekehlte Serifen, waagerechter e-Strich, fast senkrechte Rundungsachse, fast gerade Abschlüsse der Oberlängen, waagerechter Strich-Ansatz bei Kleinbuchstaben.
Bekannte Barock-Antiqua: Baskerville, Caslon, Cochin, Times
Klassizistische Antiqua
Nach den verspielten Zeiten des Barocks und des Rokokos besinnt man sich im Klassizismus Ende des 18. Jahrhunderts wieder auf antike Vorbilder und eine schlichtere Formensprache. Das wirkt sich auch auf die Schriften aus. Symmetrie und Klarheit werden stilprägend.
Außerhalb von Deutschland entwickeln sich die Antiqua-Schriften weiter in dieselbe Richtung. Die Rundungsachsen richten sich weiter auf und die Serifen werden dünner, ihre Kehlung verschwindet. Auch die Höhe von Großbuchstaben und Oberlängen nähert sich weiter an. So sind die auffälligen Merkmale der Schriftklasse der klassizistischen Antiqua eine nun senkrecht stehende Rundungsachse, waagerechte, sehr dünne Serifen ohne Kehlung. Es gibt waagerechte Ansatzstriche oben und unten. Der Schriftkontrast ist besonders ausgeprägt und die Höhen der Großbuchstaben und der Oberlängen sind gleich.
Bekannte Schriftarten der klassizistischen Antiqua: Bodoni, Didot, Walbaum
Linear-Antiqua
Nach der Entwicklung der Antiqua-Schriftklassen hin zu betonten Schriftkontrasten mit dünnen Serifen und Haarstrichen im Kontrast zu kräftigen Grundstrichen der klassizistischen Antiqua, entstehen ab dem 19. Jahrhundert mit Linear-Antiqua Schriften, die auf eine veränderte Ästhetik setzen. Bei der Schriftklasse der Linear-Antiqua fällt die besonders gleichmäßige Strichstärke auf. Sind überhaupt Strichstärken-Unterschiede vorhanden, so sind sie nur schwach ausgeprägt. Linear-Antiqua gibt es zuächst ohne Serifen – was Zeitgenossen vollkommen grotesk erschien; später aber auch mit besonders auffälligen Serifen.
Serifenlose Linear-Antiqua
Hat eine Antiqua-Schrift einen sehr geringen Schriftkontrast, also eine gleichmäßige Strichstärke, aber keine Serifen, spricht man von einer serifenlosen Linear-Antiqua oder einer Grotesk-Schrift. In Amerika ist auch der Zusatz Gothic für serifenlose Schriften üblich. Grotesk-Schriften sind sehr verbreitet und uns sehr vertraut. Das liegt unter anderem daran, dass uns serifenlose Linear-Antiqua auf tausenden von Straßenschildern und Bahnschildern den Weg weist. DIN-Schrift, Bahnschrift und Akzidenz-Grotesk sind so zum Inbegriff von Deutlichkeit und Lesbarkeit (auf Schildern) geworden.
Bekannte Grotesk-Schriften sind: Akzidenz-Grotesk, DIN 1451, DIN-Mittelschrift, Bahnschrift, Frutiger, Helvetica, Arial
Eine weitere Unterteilung dieser Schriften ist üblich: einige von ihnen (wie die Gill) knüpfen eher an die Schriftklasse der Renaissance-Antiqua, andere an klassizistischen Antiqua-Schriften (wie Helvetica) an. Außerdem gibt es serifenlose Linear-Antiqua mit konstruiertem Charakter wie Futura oder Bauhaus.
Serifenbetonte Linear-Antiqua
Aber auch mit Serifen sind Linear-Antiqua weit verbreitet. Diese serifenbetonten Linear-Antiqua nennt man auch Egyptienne. Die beiden Begriffe sind jedoch nicht ganz deckungsgleich. Die ersten Egyptienne-Schriften des 19. Jahrhunderts orientierten sich noch stark an klassizistischen Antiqua-Schriften. Genauso wie bei der Schriftklasse der klassizistischen Antiqua steht die Rundungsachse bei den Egyptienne-Schriften in der Regel senkrecht. Später konnten jedoch auch serifenlose konstruierte Schriften der Ausgangspunkt sein. Auch viele nicht-proportionale Schreibmaschinentypen sind serifenbetonte Linear-Antiqua.
Serifenbetonte Antiqua-Schriften mit Schriftkontrasten
Zu den Egyptienne-Schriften werden auch solche Typen gezählt, die das Prinzip der gleichmäßigen Strichstärke der Linear-Antiqua, die rundungslosen Serifen oder auch die senkrechte Rundungsachse der klassizistischen Antiqua wieder aufgeben.
Diese Schrifttypen lassen sich weiter unterteilen in
- statische Egyptienne ohne Rundungen am Serifenansatz
- statische Egyptienne mit Rundungen am Serifenansatz. Besonders die Schriftart Clarendon ist hier so bekannt, dass sie für die ganze Kategorie der clarendonartigen Egyptienne namensgebend war.
- dynamische Egyptienne: hier sind trotz des Egyptienne-Merkmals der betonten Serifen Merkmale der Renaissance-Antiqua wie eine schräge Rundungsachse zu finden.
Ebenfalls in der Schriftklasse der Egyptienne finden sich einige berühmte Schriften mit konstruiertem Charakter. Zu nennen sind hier Rockwell und Lubalin
Sonderform mit umgekehrtem Schriftkontrast: Italienne
Italienne-Schriften werden teilweise auch dekorative Egyptienne genannt. Der Schriftkontrast ist auch hier wieder höher, allerdings umgekehrt: die Striche der Serifen sind stärker als die Grundstriche. Die Anmutung dieser Schriftarten erinnert an Western und Saloon-Schilder. Wegen dieser Verfremdungen sind sie eher als Schmuckschriften einsetzbar und für Fließtext ungeeignet. Beispiele sind die Figaro, Playbill oder die Westside.
Moderne Schriften – Ausdruck der Postmoderne
Die Experimentierfreude, die sich bereits mit dem Aufkommen der Grotesk- und Egyptienne-Schriften abgezeichnet hatte, steigt in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit den zunehmenden technischen Möglichkeiten aber auch mit veränderten technischen Anforderungen noch einmal deutlich an. Sie mündet schließlich in der heutigen Vielfalt und gestalterischen Freiheit. Einige Schriften führen ein ausgesprochenes Nischendasein, stehen zum Beispiel für die Ästhetik der Jugendkultur oder verweisen auf frühere Kunst-Epochen wie Art Déco. Andere erfüllen die neuen technische Anforderungen, wie zum Beispiel Maschinenlesbarkeit (OCR-Schriften).