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Stil, Mode, Modernität

Grafik - Porträt von Emile Zola mit Schrift

Zeitloses Design – Mythos oder Anspruch?

Ein Artikel über Stil und Modernität in Kunst und Literatur mit einer Grafik von Loingo.

Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, sagt man. Außer vielleicht die Mode vom letzten Jahr. Aber gibt es zeitloses Design? Oder ist das nur ein Mythos und gute Gestaltung ist immer an ihre eigene Zeit gebunden?

In der Modebranche gilt Aktualität als beinahe so wichtig, wie im Bereich der Nachrichten. Und das Geschäft wird immer schnelllebiger. Selbst wo traditionsgemäß jeweils im Frühjahr eine Vorschau auf die kommende Herbstmode des Jahres gegeben wurde, hat das Geschäft Fahrt aufgenommen. Nicht nur die Zyklen werden kürzer, sondern das Neue soll nicht erst ein paar Monate sondern bereits ein paar Tage später im Handel verfügbar sein. Vertikale Konzernstrukturen machen es möglich. Mode folgt auf Mode, Trend auf Trend.

Nicht alles jedoch ist so schnell und problemlos ausgewechselt wie ein paar Stiefel oder Hosen. Deshalb rufen anspruchsvolle Verbraucher genau wie ambitionierte Gestalter nach Zeitlosigkeit. Was aber ist damit gemeint?
Um mit Coco Chanel zu sprechen: „La mode se démode, le style jamais.“ Moden vergehen, Stil besteht. Und auch wenn wir dieser apodiktischen Aussage schnell und bedenkenlos zustimmen möchten, missfällt uns alles, was uns überkommen oder zu altmodisch erscheint. Das neue Kleid, das neue Sofa oder das neue Layout sollen bestenfalls zeitlos und modern sein. Merken Sie was?

Zeitlose Modernität – ein Widerspruch in sich oder oberste Maxime anspruchsvoller Gestalter?

Offenbar muss nicht alles, was wir als modern empfinden, zwangsläufig auch in Mode sein. Im alltäglichen Sprachgebrauch liegt beides nah beieinander oder vermischt sich. Was letztes Jahr in Mode war, ist eben heute unmodern. Spätestens aber wenn wir allenfalls noch die Kunst der Post-Moderne modern zu nennen bereit sind oder uns Artefakte der Moderne hoffnungslos unmodern erscheinen, müssen wir gestehen, dass uns die Begriffe irgendwie durcheinander geraten sind.

Zeit also, das Begriffsfeld mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Das Wort Mode hat seinen Weg über die französische Sprache in unseren Wortschatz gefunden. Einen Hinweis auf den französischen Einfluss anstelle des direkten lateinischen Ursprungs bietet der Umstand, dass offenbar la mode importiert wurde und nicht etwa le mode. Ob mit weiblichem oder männlichem Artikel: beide Male bezieht sich das französische mode auf die Art und Weise, in der etwas gemacht wird oder sich darstellt.

Vielleicht lässt sich der französische Bedeutungsunterschied am ehesten erfassen, wenn man überall wo „le mode“ steht, an einen bestimmten Modus denkt, der etwas eher grundlegend bestimmt. So nennt sich der Lebensstil – als Lifestyle zwar zahlreichen Moden unterworfen – bei den Franzosen le mode de vie. Bei verschiedenen Varianten einer Sache, wie bei regional typischen Rezepten, steht eher der weibliche Artikel (tripes à la mode de Caen). Oder eben in der Mode, in der der Rock ja nicht jedes Jahr neu erfunden wird, aber dennoch in seiner ästhetischen Ausgestaltung immer neu variiert wird.

Wann begann und endete die Moderne?

Auch im Fall von modern und Moderne haben Adjektiv wie Substantiv sicherlich über die französische Sprache ihren Weg in den deutschen Wortschatz gefunden. Zunächst werden die Begriffe schlicht als Gegensatz zu bereits länger Vergangenem verwendet und leiten sich vom lateinischen Adverb modo ab, mit dem gerade eben, vor kurzem Geschehenes, Dinge jüngsten Datums oder aber unmittelbar bevorstehende Ereignisse zeitlich näher bestimmt werden können. Das Moderne steht für die eigene Epoche.

Mitte des 19. Jahrhunderts wird die sogenannte Moderne wie auch die Mode in Frankreich Gegenstand kultureller Dispute und künstlerischer Manifeste und der Begriff der Modernität wird zum Mittel auch qualitativer Beschreibung. Gleichzeitig finden sich in der Phase des gesellschaftlich-wirtschaftlichen Wandels, in der sich auch der endgültige Aufstieg der Bourgeoisie zur tonangebenden Klasse realisiert, die Anfänge der Modebranche als einer Industrie.

Grafik Porträt von Emile Zola
Emile Zola – Im 19. Jahrhundert wendet sich die Kunst der Gegenwart zu – die Moderne beginnt

Die Hinwendung zur Gegenwart kennzeichnet das kulturelle Leben in Frankreich während des gesamten 19. Jahrhunderts sicherlich in nahezu paradigmatischer Weise. In der Literatur wenden sich die Realisten allmählich von der Romantik ab. Balzac beschreibt die französische Gesellschaft der Restauration. Flaubert die Generation derer, die durch die Revolution 1848 geprägt wurden. Zola begleitet als erster Vertreter der sich über ganz Europa ausbreitenden literarischen Strömung des Naturalismus die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich journalistisch und literarisch.

Hinwendung zur Gegenwart

Diese Haltung hadert nicht damit, dass das Empfinden für Schönheit sich in stetem Wandel befinden wird. Vielmehr betrachtet sie die Literatur, den Roman, als Erkenntnisinstrument. Erstaunlicherweise findet vor allem Zola dabei zu einer unmittelbar zugänglichen und ansteckenden Leidenschaft, vor allem aber zu einer auch nach eineinhalb Jahrhunderten bewundernswerten Klarheit.

Bei der Lektüre von Zolas Romanen verblüfft auch heute noch der Eindruck andauernder Aktualität, vor allem aber von unbedingter Lebendigkeit. Hier seien jedem z. B. die Beschreibungen der Käse- und der Fischstände in Zolas Der Bauch von Paris zur Lektüre ans Herz gelegt. Der Leser taucht ganz und gar in die Szene ein – Erzählzeit und erzählte Zeit kommen zur Deckung – und vor unserem inneren Auge entsteht das Bild, fast als wäre es die eigene Impression.

Markt und Moderne

Die Rolle der Gegenwart in der literarischen und künstlerischen Produktion bringt es auch mit sich, dass die Mode, die Salons, das Kaufhaus, aber auch der Kunstmarkt selbst, in Kunst, Feuilleton und Literatur Gegenstand der Darstellung und der Diskussion werden. Modemarkt und Kunstmarkt verändern sich – und die Literatur beschreibt sie. Émile Zolas Romane Das Werk (L’oeuvre), Das Paradies der Damen (Au bonheur des dames) sind Beispiele hierfür, aus denen auch zwei weitere Entwicklungen ablesbar sind: Die Unterwerfung von Mode und Kunst unter den Markt mit seiner Gleichsetzung von Preis und Wert und die daraus resultierende Notwendigkeit ständigen Wandels, da der Preis sich nunmehr über Originalität und vermeintliche oder tatsächliche Neuheit bestimmt.

Auch ist dank neuer Produktionsmöglichkeiten in der Kunst das Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit bereits angebrochen. Dabei stehen Original und Reproduktion in der bildenen Kunst zueinander, wie die Produkte der Couture-Création zur Ware der neuen Großkaufhäuser. Jede als letzer Schrei aus einem exklusiven Kreise Weniger initiierte Mode verlischt, nachdem sie in den Kaufhäusern bzw. durch Vervielfältigung vermarktet und der Allgemeinheit zugänglich geworden ist. Die nächste Mode wird folgen und der Markt feiert diese Dynamik als Avantgarde.

Vom Absoluten zum Besonderen

Auch Charles Baudelaire hat sich Mitte des 19. Jahrhunderts in einigen Schriften mit dem Verhältnis von Mode und Modernität beschäftigt.
Er sieht die eigene Position zwischen der Emotionalität, dem Hang zur Emphase der Romantiker einerseits und dem l’Art pour l’art und dem Formalismus der Parnassiens wie Gaultier und Verlaine andererseits. Und er sucht in der Modernität für sich einen dritten Weg: In der Mode und dem modernen Leben lasse sich die besondere Schönheit einer Epoche greifbar machen. Denn im Schönen finden sich für ihn immer das Ewige und das Vergängliche, das Absolute und das Besondere. Die absolute und ewige Schönheit gibt es nicht – sie ist sozusagen eine Utopie …

Diese Modernität erkennt er in den Bildern von Delacroix, Manet und Cézanne genauso wie in der Musik von Wagner. Baudelaire möchte in der Heldenhaftigkeit des modernen Lebens das finden, was die Romantiker in der Antike suchen. Nach diesem Verständnis ist es die Aufgabe des Künstlers, diese Modernität mit ewiger Schönheit zu verbinden, um so ein dauerhaftes Werk zu erschaffen, das sowohl durch die Anwendung zeitloser Ideale als auch durch die Übereinstimmung mit dem Zeitgeschmack schön ist.
Die Zeit des Symbolismus bricht an. Und die Symbolisten sollten nicht die letzten bleiben, die den modernen Zeiten und den reinen Beschreibungen der Realität in der Kunst wieder etwas Ewigkeit und etwas Ideelles entgegensetzen wollten.

In der Moderne folgen auf die Zeit Baudelaires jedenfalls Jahrzehnte voller politischer aber auch künstlerischer Ismen und Manifeste, voller gesellschaftlicher Umbrüche, Katastrophen, zwei Weltkriege, Zeiten voller Fortschrittsgläubigkeit unterbrochen von Phasen jammervollster Weltuntergangsstimmungen.

Moderne und Postmoderne …

Der Begriff der Postmoderne taucht bereits früh, nämlich um 1870 herum, das erste Mal auf. Zunächst steht er wohl als Stilbegriff in der Malerei für eine Strömung, die moderner sein wollte als die moderne Malerei – womit zu dieser Zeit der Impressionismus gemeint sein dürfte.
Später aber gewinnt er philosophische Bedeutung und wird als eine Art Gegenkonzept zur Moderne verstanden, das teilweise deutlich nationalistische und religiöse Aspekte aktualisierte.

Postmodernismus im heutigen Sinne ist allerdings weitgehend frei von derart offensichtlich regressiven Tendenzen. Vielmehr reagiert er auf die Absolutheitsansprüche der Moderne mit Ablehnung, um als philosophisch-soziologische Theorie, Basis einer möglichst pluralistischen Gesellschaft sein zu können.

Im westlichen Denken zeichnet sich im Verlauf der Moderne eine Kehrtwende ab, die sich am deutlichsten durch das Werk von Wittgenstein veranschaulichen lässt: Hatte er noch im Tractatus geschrieben, dass der Satz die Wirklichkeit abbildet, so ist in seinen Philosophischen Untersuchungen zu lesen, dass die Welt die Welt unserer Sprache ist. Oder um Derrida zu zitieren „Il n’y a pas de hors-texte„.

Nach dieser Sichtweise kann es, wenn unsere Welt bzw. unsere Wahrnehmung und Interpretation sich allein auf Texte gründet, nichts Neues geben, das sich nicht auf andere, vorherige Texte bezieht. Der kreative Modus der Postmoderne nutzt demzufolge Zitat, Dekonstruktion und Rekombination.

Wenn die Moderne die Zeit ist, in der die Wissenschaft die Religion als die gesellschaftlich bestimmende Macht entthront hat, ohne dass Religion und Religiosität tatsächlich verschwunden wären, so ist die Postmoderne diejenige, die den Anspruch auf Allgemeingültigkeit der modernen Ideen wie Fortschritt, Vernunft, Rationalität, also von Positivismus und Materialismus verneint, da sie der tatsächlichen Vielfältigkeit nicht gerecht werden könne. Und das natürlich, ohne dass das postmoderne Denken den tatsächlichen gesellschaftlichen Einfluss einer popularisierten Wissenschaft hätte schmälern können.

Loingo ist Gold
… im globalisierten Multiversum

Tatsächlich verfügt der Mensch des 21. Jahrhunderts über die beachtliche Fähigkeit, das nicht als unauflöslichen Widerspruch zu empfinden, also je nach Kontext die Welt modern oder postmodern zu interpretieren und sich gar ab und zu ein bisschen Vormodernität zu gestatten. Ist dieses Sowohl-als-auch, das uns erlaubt in wissenschaftlich-technischen Dingen fortschrittsläubig zu sein und in sozialen und kulturellen Dingen relativistische Grundüberzeugungen zu pflegen, typisch postmodern? Oder immer noch Ausdruck für ein Zusammenfallen von Gleichzeitigem und Unzeitgleichigem, das nach Ernst Bloch bereits die 1930er Jahre prägte?

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